Die „Stolpersteine“

Ganz neu sind sie nicht mehr, irgendwie haben sie sich in die Umgebung eingefügt, wen bringen sie noch zum „Stolpern“? Das sollten sie tun, zwar nicht wörtlich, aber im übertragenen Sinn: die Stolpersteine sollten dafür sorgen, dass die Menschen kurz stutzen und darüber nachdenken, was ihnen die Steine mit der Messingplatte sagen wollen.

Die Neustadter Stolpersteine waren das Ergebnis eines Projekts, das Schüler der Klasse 9e der Staatlichen Realschule im Schuljahr 2013/2014 mit ihrer Lehrerin, Frau Kummer, durchführten. Insgesamt geht die Idee auf den Künstler Gunter Demnig zurück, der damit ein riesiges dezentrales Mahnmal geschaffen hat und noch schafft, mit dem an das Schicksal von Menschen erinnert wird, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Die Steine werden in der Regel vor den letzten frei gewählten Wohnhäusern der NS-Opfer niveaugleich in das Pflaster des Gehweges eingelassen. Die Schüler mussten eine Genehmigung für die Verlegung bei der Stadt beantragen, sie mussten die Lebensgeschichten von NS-Opfern recherchieren, die richtige Adresse ermitteln und das Geld für die Verlegung aufbringen, indem sie Spenden sammelten. Von den Neustadter NS-Opfern wählten sie das Ehepaar Löwenherz und Bernhard Jena aus.

© Heimatpflegerin Isolde Kalter

Richard und Dagmar Löwenherz

Richard Löwenherz, Jude, geboren 1881 in Höxter, war Mitinhaber einer Möbelfabrik in Coburg. Er heiratete die Schauspielerin Dagmar von Metzsch und kaufte 1914 eine Jugendstilvilla in der Coburger Alexandrinenstraße, wo er gerne fröhliche Feste mit überwiegend nichtjüdischen Gästen feierte.

Er errichtete eine weitere Möbelfabrik im Hahnweg und war Vorsitzender der Gesellschaft der Musikfreunde. Von seinem Glauben trennte er sich, ohne einen anderen anzunehmen. Nach Max Oscar Arnolds Bankrott übernahm er dessen Möbelfabrik (Werk II) in Neustadt, aber die Wirtschaftskrise von 1929 ruinierte auch Löwenherz‘ Lebenswerk. 1933 zog er in die Bahnhofstraße 28a in Neustadt, von wo aus er versuchte, die Möbelfabriken zu retten, sich gleichzeitig aber schon mit dem Gedanken beschäftigte, Nazi-Deutschland zu verlassen.

Gemeinsam mit seiner Frau floh er 1935 nach Jugoslawien.

© Heimatpflegerin Isolde Kalter

Bernhard Jena

Bernhard Jena, geboren 1877, lebte bis 1930 mit seiner Schwester in der Feldstraße 2. Schon als Kind hatte er Krämpfe und bekam mit 20 Jahren die Diagnose „Epilepsie“. Er arbeitete als Bossierer, führte nach dem Tod der Mutter gemeinsam mit seiner Schwester die Firma „Bernhardine Jena Erben“. Sicherlich als Folge seiner Krankheit, durch die er Dämmerzustände erlitt, während der er sich nicht mehr unter Kontrolle hatte und gewaltbereit auftrat, konnte er nie eine eigene Familie gründen. Als er 1930 nackt und mit einem Messer bewaffnet durch die Straßen lief, ließ ihn seine Schwester in der Heil- und Pflegeanstalt Kutzenberg unterbringen. Im Rahmen der „Aktion T4“, der systematischen Ermordung von Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen, wurde er 1941 nach Sonnenstein bei Pirna gebracht und dort am 4. Mai ermordet.

Denken wir daran, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht nur irgendwo in Berlin, München oder Buchenwald verübt wurden, sondern auch genau hier, in Neustadt, an unseren Nachbarn. Daran sollen die Stolpersteine erinnern.